Fotografie

Nuclear Blast

BBK-Ausstellung »Lebensraum: Fotografie als Kunst – Kunst mit Fotografie«, Alte Feuerwache, Mannheim

27.03. bis 12.04.2004

Informationstext »Lebensraum« - BBK Mannheim

»Lebensraum: Fotografie als Kunst – Kunst mit Fotografie«

Eine Ausstellung des Bezirksverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler Region Mannheim

Die Ausstellung »Lebensraum: Fotografie als Kunst – Kunst mit Fotografie« gibt einen Überblick über das gegenwärtige künstlerische Schaffen der Künstlerinnen und Künstler des BBK Region Mannheim mit dem Medium Fotografie. Zu besichtigen ist sie vom 27.03. bis zum 12.04.2004 in der Fotogalerie Alte Feuerwache. Angesprochen waren ausdrücklich nicht nur Fotografen, die das Medium im klassischen Sinne verwenden, sondern alle, die Fotografie in irgendeiner Form in ihren künstlerischen Arbeiten aufgreifen. Außerdem wurden einige weitere Künstlerinnen und Künstler, zum Teil auch von außerhalb des BBK, dazu eingeladen, die Fotografie der Ausstellung durch Neue Medien zu ergänzen. So werden unter anderem Videofilme von Eric Carstensen (Mannheim), Günter Berlejung (Fußgönheim) und Kirsten Kötter (Frankfurt) zu sehen sein.

Die Ausstellung wird am 27.03.2004 um 19 Uhr eröffnet. In die Ausstellung wird Dr. Susanne Kaeppele, freie Kunsthistorikerin, einführen.

Die Ausstellung setzt die Tradition des BBK Region Mannheim fort, jährlich eine Mitgliederausstellung mit wechselndem Schwerpunkt zu zeigen. Im letzten Jahr wurden Werke aus den Bereichen Malerei, Graphik und Plastik in den Xylon-Werkstätten in Schwetzingen präsentiert.

Einführung Susanne Kaeppele

Sehr geehrte Damen und Herren,

das Thema Lebensraum wurde hier sehr unterschiedlich durchgespielt, und nur wenige der ausstellenden Künstler sind hauptsächlich Fotografen.

Unser Lebensraum ist draußen und drinnen, im Freien sind Jörg Fischers Bilder aus Schweden aufgenommen, auch Frank-Joachim Grossmann fotografierte draußen das Lineament einer Tabakscheuer, Rainer Negrelli joggende Soldaten auf der Straße und Rainer Zerback gebogene Landschaften. An der Grenze zwischen außen und innen bewegen sich die fast linearen Arbeiten von Heiner Weiner; der die Konstruktion der Multihalle fast grafisch festhielt. Im Innenraum, aber noch im Hausflur, sind die konzeptuellen Fotos von Angelika Schröder angesiedelt, die auch als Einladungskartenmotiv fungieren. Ein ganz besonderer Raum ist der Spiegelraum von Michael Schwartzkopff. Ganz klar in erkennbaren Wohnzimmern spielen die Fotografien des Malers Walter Stallwitz, Ana Laibach wiederum beschäftigt sich mit Marmelade und Andrea Niessen mit Fleisch, beide wahrscheinlich in der Küche. Aber all dieses sagt uns nichts über die Fotografien, oder? Ich werden nun einzelne, völlig subjektiv ausgewählte Arbeiten vorstellen, von außen nach innen gehen; und auch eine Videoarbeit der eingeladenen Videokünstler ansprechen, nämlich die von Fritz Stier.

Daneben gibt es Videoarbeiten von Günther Berlejung, Eric Carstensen und Kirsten Kötter zu sehen.

Rainer Negrelli, der hauptsächlich malt, zeichnet und drucktechnisch aktiv ist, fotografierte im Jahr 2000 amerikanische Soldaten beim Frühsport, morgens um 5 Uhr, wie sie unter seinem Haus vorbeilaufen. Er hat die Sequenz aufgesplittet durch Aufnahmen von verschiedenen Punkten aus, diese dann noch einmal fotografiert und das Ergebnis 4 m lang abgezogen bzw. ausgedruckt. Die joggenden Menschen von oben gesehen bilden eine Struktur, es fehlt gewiss das Rufen und Schreien der Kommandos und die Lieder, die gesungen werden. Sehr interessant ist es, zu sehen, wie an den wieder abfotografierten Schnittstellen die Personen geschluckt werden, sich verändern, eigentümliche Dinge tun — es ist nicht nur Joggen, sondern Frühsport — sprich das Bild verunklärt wird. Bei näherer Betrachtung erscheinen die Menschen abstrahiert durch die Schnittstellen, werden auf einmal Punkte interessant, wie die wegstrebenden Diagonalen der Arme und Beine, wie sie sich verbinden zu einem unklaren Konglomerat von Körperformen. Im krassen Gegensatz dazu steht das freundliche Sommerlicht am frühen Morgen, das das Foto in eine sanfte Farbigkeit hüllt. Weiter abstrahiert wird die Aufnahme durch den großen Schriftzug »RUNNING« und überhaupt durch die Größe des Abzuges. Und gerade an den Schnittstellen wird es ganz unheimlich. Negrelli hat so durch sein nur leicht verfremdetes Foto Stellung bezogen zur Absurdität des Militärs, das immer in Kriegsvorbereitung ist.

Im Gang hängen links die beiden Arbeiten des Fotografen Rainer Zerback, die den Titel tragen »Nuclear Blast«, 1 und 2. Von der atomaren Katastrophe wurde die Landschaft verbeult, die Welt wirkt bewegt, ganz fremd und gebogen, wie ein anderer Planet. Rainer Zerback ist reiner Fotograf, und seine Arbeit scheint mir ein interessanter Versuch, die Fotografie selbst zu erneuern und gleichzeitig experimentell Stellung zu beziehen.

Auch rein fotografisch arbeitet Michael Schwartzkopf, sein popartiges Foto, betitelt »Mirror — Wien« wurde in der Sezession in Wien aufgenommen, also in einem Kunst- und Ausstellungsraum. Schwartzkopff arbeitet wie Zerback experimentell und gleichzeitig ganz naturalistisch mit dem Thema Spiegel und Reflektion. Wir sehen das Porträt einer Frau im Profil von hinten, die in den Spiegel schaut, aber es wird etwas verschwommen, dunkel, die Farben der Lichter hingegen wirken psychedelisch. Auch der Fotograf ist im Spiegel zu sehen beim Fotografieren. Eine Beobachterin steht noch rechts daneben und betrachtet die Szene, sie ist aber nicht außerhalb des Spiegels zu erkennen. Durch die Hängung hier wird das Geschehen noch um eine weitere Dimension erweitert, denn der Betrachter sieht sich zusätzlich im Glas des Bildes gespiegelt, sieht sich selbst im Foto, in dem sich der Fotograf fotografiert und seine Modelle. Diese Arbeit ist sehr komplex und spielt mit dem Medium Fotografie: Eigentlich fotografiert der Künstler nur den Spiegel, aber dadurch entstehen viele vielschichtige Verbindungen. Der Innenraum scheint eine weitere Dimension dazu zu erhalten, der Spiegel wird zum Innen und Außen zugleich.

In der Küche hingegen begegnen wir Ana Laibach, hauptsächlich Malerin, die hier sehr witzig ein Marmeladenglas Marke »Frauenlob« in zwölf verschiedenen Ansichten aufgenommen hat. Alle zusammen werden zum Vorbild für die stark vergrößerte und abstrahierte Malerei. Dennoch handelt es sich nicht um einfach die Realität abbildende Fotografie, sondern schon die Fotos sind verfremdet durch die ausschnitthaften Variationen der Detailansichten. Schon die Fotos wirken sehr, sehr malerisch, schon die Fotos sind ganz klar ein Schritt auf dem Weg in die Abstraktion und beweisen eigentlich, dass Fotografie beides ist: realitätsabbildend und dann doch nicht. Die zwölf kleinen Fotografien halten den Betrachter dazu an, das Ursprungsbild für das Leinwandgemälde zu finden, und er findet es nicht.

Ebenfalls eher in der Küche zu Hause ist Andrea Niessen. Der Witz an ihren Arbeiten ist die Verwendung von Fotografie für eine Seite ihrer genähten Fleischstücke, die hier auf dem Boden liegen. Wenn man sich die einzelnen Stücke anschaut, entdeckt man menschliche Hautpartien, ein geschlossenes Auge, ein Stück Haut am Bein mit verschiedenfarbigen Haaren, eine Brustwarze, eine Narbe usw. Diese Art der Makroaufnahme von unklaren Körperteilen, die erst nach einer Weile Sehen vielleicht entschlüsselt werden, sieht man immer mal wieder seit den 90er Jahren – dem Jahrzehnt der Körper, würde ich mal sagen – (Waschungen, Patrick Raynaud, 1992; kuha), aber an Stoff eher selten. Hier geschieht ebenfalls Eigenartiges mit dem Betrachter: zuerst belustigt schaut er sich die Stoffwürfel an, die Fleischstücke sind, sieht dann die einzelnen Fotos, sieht sie sich genau an, entwickelt an verschiedenen Punkten leichtes Unbehagen, weil die fotografierten Stellen eigentlich durch die Makroaufnahme zu intim werden. Oder anders herum: ein Bein mit Haaren ist — zumindest bei einem Mann — heute kein Thema. Durch die Großaufnahme wird es jedoch, so ging es mir jedenfalls, leicht eklig. Und dann sind es Fleischstücke, und man kommt ins Nachdenken: Was für Fleisch, Menschenfleisch? Nein, das kann ja nicht sein, weil auf einem Würfel ein Auge abgedruckt ist. Also eher die Dekonstruktion des Körpers, ob menschlich oder tierisch. Und natürlich ist sofort auch der Tod im Spiel, weil das Fleisch ja zerschnitten ist, wie beim Metzger, die Tiere also tot sind. Die fotografierten Menschenteile wirken aber lebendig, also ein Spiel mit den beiden Daseinsformen und den Säugetiergattungen.

Im Wohnzimmer treffen wir auf gemütlich-ungemütliche Raumsituationen, die der Maler Walter Stallwitz schon in den 70er Jahren schuf. Er nennt seine Arbeiten »Transformation«: Er entnahm ein lnterieur aus »Schöner Wohnen« oder so und malte seine Figuren auf das Foto. Dann fotografierte er es wieder, machte einen vergrößerten Abzug, den er wieder leicht bearbeitete, nur noch Feinheiten, und dann wieder fotografierte und auf 70 × 90 cm vergrößerte. Das alles ist natürlich auch sehr ironisch, allein die Titel »Trautes Heim, Glück allein« von 1973 oder »Am Kamin« von 1970. Letzteres ist mit Farbstift später noch bearbeitet, grün, rot, schwarz, blau. All das hat ganz viel mit seiner Malerei zu tun, den Verflechtungen und anderen Bildern, bei denen die Personen zum Interieur werden, sich in Möbelstücke verwandeln, z. B. zu den Stühlen, auf denen sie sitzen. Hier lösen sich die Figuren im Raum auf, speziell durch die bunten Striche und Verflechtungen. Wie schon mehrfach in dieser Ausstellung kann bei näherer Betrachtung Unruhe und Befremden auftreten, es ist eben gar nicht gemütlich im Wohnzimmer, sondern eher gruselig.

Von den Videoarbeiten möchte ich nur diejenige von Fritz Stier vorstellen, der ja schon seit Jahren mit dem Medium arbeitet. Hier präsentiert er jetzt eine neue Arbeit namens »Ahnen«. Im Werkstattgang stehen auf fünf Stelen Monitore, in denen verschiedene Videos im Endlosloop laufen. Ein flaches Gewässer ist zu sehen, in dem weiß ein Kopf angedeutet ist. Aus ihm tauchen einzelne Gesichter auf, materialisieren sich quasi, häufig mit geschlossenen Augen, häufig verschiedene Lebensalter, Männer und Frauen abwechselnd. Diese Gesichter entmaterialisieren sich nach einer Wendung ins Profil wieder und verschwinden hinter oder in der Silhouette des Kopfes, der immer stehen bleibt. Die Entstehung der Form aus dem Nichts. Bill Viola hat es in »Djott-el-dscherid« exemplarisch in Farbe schon 1977 vorgemacht, aber da ging es um das langsame Erkennen der Form, hier ist ja schon klar, was man sehen wird.

Es geht eher um das Entstehen und Verschwinden, um die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, um Werden und Vergehen. »Ahnen« ist der Titel dieser Arbeit und dabei handelt es sich um unsere Ahnen, die Vorfahren, und das Verb »ahnen«, das langsame Erkennen. Nichts bleibt, alles vergeht, ein modernes memento mori, erinnere dich, dass du sterben musst. Sehr meditativ, und in den ganz inneren Lebensraum greift dieses Video ein, natürlich auch nur für den, der sich darauf einlassen will.

Zum Schluss möchte ich Ihnen ein, wie ich finde, großartiges Zitat von Bill Viola vorlesen: »Kunst kann einen Wachstums-, Heilungs- oder Vervollkommnungsprozess bewirken, d. h. dass sie nicht nur eine ästhetische Praxis, sondern eine Form des Wissens, der Erkenntnis im wahrsten Sinne des Wortes ist. Die wirkungsvolle Kombination eines eingeengten ästhetischen Begriffs mit der rasanten Entwicklung eines auf freiem Warenaustausch beruhenden kommerziellen Systems ist in großem Maße für den trostlosen Zustand der Kunstwelt und die Vorherrschaft leerer, oberflächlicher und banaler Kunstobjekte seit den letzten zehn Jahren verantwortlich.«

Sehr geehrte Damen und Herren, wie Sie sehen, ist das hier nicht so, im Gegenteil, wir sehen eine sehr vielschichtige und interessante Ausstellung, ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Betrachten und Nachdenken und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

© Dr. Susanne Kaeppele, 27.3.04