The World Without Us
Ausstellung im Kunstverein Linz am Rhein
09. bis 31.08.2025
Einführung Damian Zimmermann
Dank Filmen, Serien und Computerspielen wie »The Walking Dead«, »The Last of Us«, »Fallout« oder »A Quiet Place« haben wir heutzutage eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie die Apokalypse aussehen wird: grün und komplett zugewachsen. Von der Natur zurückeroberte Straßen, Häuser und Städte, die von unten bis oben zugewuchert sind und in denen wilde und aus Zoos entkommende Tiere herumlaufen. Einen kleinen Vorgeschmack bekamen wir während der Corona-Pandemie, als plötzlich Rehe in Madrid auftauchten, Pumas durch Santiago de Chile liefen und Wildschweine in Rom zu sehen waren. Nach dem Weltuntergang bekommt der Begriff Großstadtdschungel eine völlig neue Bedeutung – und zeigt, dass die Welt vor allem für uns Menschen unterzugehen scheint, während die meisten Tierarten zumindest von dieser Katastrophe verschont bleiben.
Menschen wird es dann allerdings nicht mehr oder kaum noch geben. Und das dürfte auch der Grund sein, warum wir bei den Bildern von Rainer Zerback sehr oft eher dystopische bis apokalyptische Gefühle entwickeln. Dennoch sehen die Bilder von Rainer Zerback anders aus als das, was wir von den aktuellen Hollywood-Darstellungen gewohnt sind. Wenn überhaupt, erinnern Zerbacks Fotografien an die allererste Folge »Die leere Stadt« (Original »Where is Everybody?«) der amerikanischen Science-Fiction- und Mystery-Serie »The Twilight Zone« aus dem Jahr 1959. Darin sehen wir eine menschenleere Stadt, die aber dennoch lebendig erscheint, so als wären alle Menschen noch vor zwei Minuten da gewesen und von jetzt auf gleich einfach verschwunden. Nicht panisch geflüchtet, nicht gestorben wegen Krieg, Zombies oder einem Virus. Es liegen keine Toten auf der Straße, es gibt keine Verkehrsunfälle oder sonstigen Zerstörungen. Alles ist so wie immer. Nur die Menschen sind einfach weg. Bis auf einen einzigen Mann, der verwirrt und schockiert durch die Straßen läuft, auf der Suche nach einer Antwort für dieses Mysterium.
Ein bisschen sind auch wir, die Betrachter dieser Fotografien, wie der namenlose Mann in der Folge »Die leere Stadt«. Verwirrt »laufen« wir durch die Fotos von Rainer Zerback und suchen nach Leben, nach Hinweisen, nach anderen Menschen oder zumindest nach dem Grund, warum diese Orte menschenleer sind. Doch im Unterschied zu der Twilight-Zone-Folge geht von Zerbacks Fotografien keine direkte Bedrohung aus. Eher eine bedrohliche Faszination, eine fast meditative Unruhe. Genau diese Ambivalenz macht seine Fotos so eindringlich, so vielschichtig und so spannend, obwohl eigentlich nicht viel in ihnen passiert.
Doch anstatt darüber zu sprechen, was NICHT zu sehen ist, sollten wir einmal schauen, was wir auf den Fotos sehen können. Auf die Landschaften und die Spuren, Hinterlassenschaften und Veränderungen in ihnen, die von Menschen stammen und die für mich auch den allerersten Gedanken und Eindruck ausgelöst haben, als ich Zerbacks Fotos aus der Serie »The World Without Us« zum ersten Mal gesehen habe: Die Nähe zu den Fotografien der legendären Ausstellung »New Topographics: Photographs of a Man-altered Landscape« aus dem Jahr 1975.
Der Kurator William Jenkins hat damals im George Eastman House Arbeiten von neun Fotografen und einer Fotografin gezeigt, die sich unabhängig voneinander mit einer ganz neuen Auffassung von Landschaftsfotografie beschäftigt haben. Es war eine eher sachlich-nüchterne, dokumentarische Darstellung von Landschaften, die durch menschlichen Eingriff geprägt sind, wie beispielsweise Vorstadtsiedlungen, Industrieanlagen oder Parkplätze. Die Fotografien stellten eine visuelle »Inventur« dar: Sie dokumentieren die Veränderungen der Landschaft durch Kultur und Technik nüchtern, ohne Pathos oder dramatische Inszenierung, und hinterfragen damit zugleich unser Verhältnis zur Moderne und Umwelt.
Damit standen sie im starken Kontrast zu allem, was man damals und im Grunde bis heute unter Landschaftsfotografie verstand, vor allem, wenn man die majestätischen und die Natur überhöhenden Fotos von Ansel Adams und Edward Weston im Kopf hat. Es ging nicht mehr um die Schönheit der unberührten Natur und eine Idealisierung des Landschaftsbildes, sondern um einen Wirklichkeitsanspruch: Selbst in einem riesigen Land wie den USA gibt es kaum noch Landschaften, die der Mensch nicht in irgendeiner Form verändert oder für die eigenen Zwecke unterworfen hat: durch Siedlungen, durch Gewerbegebiete, durch Stromleitungen und Straßen oder durch den Abbau von Rohstoffen.
Vieles davon sehen wir auch in den Bildern von Rainer Zerback. Allerdings ist die Bildästhetik der New Topographic-Fotografen eher zurückhaltend, eher distanziert und scheinbar neutral. Eine Wertung findet genauso wenig statt wie eine Romantisierung. Und das ist wiederum ein Aspekt und ein Unterschied zu den Arbeiten von Rainer Zerback, auf den ich auch noch eingehen möchte: der Aspekt der Romantik.
Die Epoche der Romantik liegt bereits 200 Jahre zurück und hat sich damals u. a. durch eine starke Betonung der Gefühlswelt und Sehnsucht ausgezeichnet, oft verbunden mit einer Weltflucht in Fantasie- und Traumwelten sowie einer idealisierten Naturverbundenheit. Es gab eine Hinwendung zum Mystischen, zum Geheimnisvollen und zum Unheimlichen, zum Unbewussten und zum Unerklärlichen. Die Natur wurde als Sehnsuchts- und Rückzugsort betrachtet, in den man meist alleine eintritt und der als Spiegel der eigenen Gefühlslage verstanden wurde.
Merkmale, die zumindest in Teilen auch auf die Bilder von Rainer Zerback zutreffen. Doch neben den Motiven und der sehr aufgeräumten, eher minimalistischen und harmonischen Bildgestaltung mit wenig Dramatik kommt noch ein weiterer wichtiger Punkt hinzu, der für die Bildwirkung mitverantwortlich ist: die Farbigkeit und die Gesamtästhetik von Zerbacks Bildern, die er einerseits durch eine eher zurückhaltende und minimalistische Komposition erreicht, zum anderen durch seinen Umgang mit analoger und digitaler Fotografie und einer entsprechenden Bildbearbeitung.
Ein weiterer Unterschied zu den Bildern des Romantik-Malers Caspar David Friedrich ist, dass dieser uns noch eine Person ins Bild gestellt hat, die stellvertretend für uns in die Landschaft tritt und sie somit auch füllt. Bei Zerback sehen wir hingegen keine Menschen. Stattdessen sehen wir Gegenstände und Gebäude, die von Menschen erschaffen wurden und verdeutlichen, dass er einmal da gewesen sein muss. Wir blicken auf Parkplätze und Gewerbegebiete, Skilifte und Hotels, Sportplätze und Flugplätze, Autos und Boote neben den Stränden und Feldern, Seen und Fjorden.
Oft sind es direkt oder indirekt touristische Orte, die wir zu sehen bekommen. Sie sind einerseits nur wenig romantisch im ursprünglichen Sinne, aber auf der anderen Seite eben doch auch Sehnsuchtsorte. Sehnsuchtsorte von Menschen. Doch was geschieht mit uns, wenn an diesen menschlichen Sehnsuchtsorten plötzlich keine Menschen sind? Umgekehrt sind es aber eben auch Orte, an denen sehr oft viel zu viele Menschen sind und an denen man sich wünscht, diese Orte für sich alleine zu haben, anstatt sie mit Hunderten anderen teilen zu müssen. Rainer Zerback hat uns diesen Traum erfüllt.
Ob es ein schöner Traum oder doch eher ein Alptraum ist, müssen Sie selbst entscheiden.
Bericht »NR-Kurier« - 01.09.2025
Rainer Zerbacks Ausstellung »The World Without Us« endet mit spannender Finissage
Am 31. August 2025 fand die Finissage der Ausstellung »The World Without Us« von Rainer Zerback im Kunstverein Linz am Rhein statt. Im Gespräch mit dem Vorsitzenden Norbert Boden gab der Künstler Einblicke in die Entstehung und die Gedanken hinter seiner faszinierenden Fotoserie.
Linz am Rhein. Die Ausstellung »The World Without Us« von Rainer Zerback endete am vergangenen Sonntag mit einer Finissage. Der Vorsitzende des Kunstvereins, Norbert Boden, eröffnete das Gespräch mit der Frage nach dem Startpunkt der ausgestellten Fotoserie. Zerback erklärte, dass ein Laborfehler vor 25 Jahren den Anstoß für die Serie gegeben habe.